Gleichstellung als Innovationstreiber und Wettbewerbsvorteil im internationalen Vergleich

 

1. Zielsetzung

Frauen sind für die Zukunftsfähigkeit der Hightech-Agenda Deutschland unverzichtbar. Die systematische und aktive Einbeziehung von Frauen in technologische Innovationsprozesse schafft einen nachgewiesenen Mehrwert – wissenschaftlich belegt, wirtschaftlich relevant und gesellschaftlich notwendig. Gleichstellung ist keine flankierende Maßnahme, sondern ein zentraler Erfolgsfaktor für eine innovationsorientierte und wertegeleitete Technologiepolitik.

Drei Argumente für die Hightech-Branche:
  1. Wirtschaftlicher Mehrwert durch bessere Nutzung weiblicher Fachkräftepotenziale
  2. Innovationskraft durch diverse und interdisziplinäre Teams
  3. Internationale Wettbewerbsfähigkeit durch Gleichstellung als Innovationsstrategie
Handlungsempfehlungen:
  1. Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsprinzip der Hightech-Agenda Deutschland
  2. Förderlinien für gezielte Frauenqualifizierung und -sichtbarkeit
  3. Anreizsysteme für heterogene Projektteams in der Forschungsförderung
  4. Systematische Verzahnung mit der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik 

2. Ausgangslage 

  1. Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsprinzip der Hightech-Agenda Deutschland
  2. Förderlinien für gezielte Frauenqualifizierung und -sichtbarkeit
  3. Anreizsysteme für heterogene Projektteams in der Forschungsförderung
  4. Systematische Verzahnung mit der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik
  5. Ausgangslage

Trotz wachsender Bedeutung technologischer Schlüsselbereiche – insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) – sind Frauen in Forschung, Entwicklung und Anwendung weiterhin massiv unterrepräsentiert. Studien zeigen: Nur etwa 22% der Beschäftigten im Bereich KI in Deutschland sind Frauen (OECD, 2023). Diese Schieflage verhindert Chancengleichheit und schwächt die Qualität, Reichweite und Akzeptanz technologischer Entwicklungen.

Dabei verfügt Deutschland über ein bislang unerschlossenes Exzellenzreservoir hochqualifizierter Frauen. Über alle Disziplinen hinweg haben mehr Frauen als Männer im Alter von 25 bis 34 Jahren einen Hochschulabschluss (43,3% vs. 37,8%; Statista, 2024). Dieses Potenzial bleibt im Hochtechnologiebereich weitgehend ungenutzt. So weist der She Figures Index 2024 in seinem sektoralen Bericht zur Situation in Deutschland darauf hin, dass der Anteil der Forscherinnen in der Wirtschaft mit knapp 16% deutlich unter dem Durchschnitt der EU-27 mit mehr als 22% liegt (European Commission, 2024).

Handlungsmöglichkeiten bestehen insbesondere bei dem Potenzial der promovierten Frauen. So arbeiten sieben Jahre nach der Promotion zwar 57% der männlichen Promovierten im privaten Sektor, aber nur 36% der weiblichen Promovierten (BuWiK 2025, S.34). Bei sektoralen Wechseln von Hochschulen/Forschungseinrichtungen in den privaten Sektor sind bei Frauen 63% der neuen Beschä􀅌igungsverhältnisse unbefristet, bei Männern 80% (BuWiK 2025, S.35).

Besonders die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz bietet hier eine strategische Chance: KI ist nicht ausschließlich ein technisches Feld – sie erfordert interdisziplinäre Kompetenzen aus Ethik, Kommunikation, Sozial- und Sprachwissenschaften ebenso wie aus der Informatik (Cristescu et al., 2024). Die gezielte Öffnung für Quereinsteigerinnen und interdisziplinäre Karrierewege muss daher integraler Bestandteil der Fachkräftestrategie sein. Hierzu gehört die Kompetenzentwicklung und Sensibilisierung der Führungskräfte in Hightech-Unternehmen und die breite interne und externe Kommunikation einer Positionierung zu Gleichstellung, Vielfalt, Interdisziplinarität und Unternehmenskultur (Bitkom, 2024. S. 9, 11).

Ein Großteil des weiblichen Arbeitskräftepotenzials bleibt ungenutzt – sei es durch strukturelle Hürden beim Berufseinstieg oder durch fehlende Maßnahmen zur langfristigen Bindung. Fast jede zweite erwerbstätige Frau in Deutschland arbeitet in Teilzeit. Wird durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie durch flexible Karrierepfade die Erwerbsbeteiligung erhöht, könnte das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 1,5% steigen (RWI, 2023).

Retention-Strategien, wie sie in der Forschung zu Geschlecht und Arbeitskultur erprobt sind (Holtzblat & Marsden, 2022), zeigen: Nicht nur der Einstieg, sondern vor allem der Verbleib in technologischen Berufen muss systematisch gefördert werden – durch inklusive Teamkulturen, transparente Aufstiegschancen, zukunftssichere und unbefristete Arbeitsverhältnisse sowie eine unterstützende Arbeitsumgebung. Hier liegt ein unterschätzter Hebel für den Erfolg der Hightech-Agenda.

Gleichzeitig belegt die Forschung: Vielfalt erhöht die Innovationsfähigkeit. Teams mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis entwickeln nachweislich kreativere, nutzerorientiertere und resilientere Lösungen (Østergaard et al., 2011; Hunt et al., 2020). Eine technologiepolitische Strategie ohne gezielte Gleichstellungsmaßnahmen bleibt daher hinter ihren Potenzialen zurück – national wie international.
 

3. Politische Relevanz

Die Hightech-Agenda Deutschland versteht sich als Leitlinie für nachhaltiges, digitales und gesellschaftlich verantwortungsvolles Wachstum. Die Integration von Gleichstellung in diese Strategie ist ein Gebot der Zukunftsfähigkeit und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Zudem ist Deutschland mit der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) verbindliche Verpflichtungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern eingegangen und dies auf allen Ebenen – politisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell, zivil und familiär.

Internationale Vergleichsstudien (z. B. Global Gender Gap Report, World Economic Forum, 2024) zeigen: Länder, die Gleichstellung konsequent in Innovationspolitik verankern, erzielen höhere Innovationsoutputs, mehr Patentanmeldungen und eine stärkere internationale Sichtbarkeit in Technologieclustern. Deutschland kann diesen Standortvorteil nur realisieren, wenn Frauen strukturell einbezogen und gezielt gefördert werden – von der Ausbildung bis in Führungspositionen, von der Forschung bis zur industriellen Anwendung.
 

4. Wissenschaftliche Erkenntnisse (Auswahl) 

  • Innovationsleistung: Østergaard, Timmermans & Kristinsson (2011) zeigen, dass diverse Teams – insbesondere mit höherem Frauenanteil – signifikant innovativere Produkte und Prozesse hervorbringen.
  • Wirtschaftlicher Mehrwert: Laut McKinsey (Hunt et al., 2020) erzielen Unternehmen mit hoher Geschlechtervielfalt eine um 25 % höhere Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlicher Profitabilität.
  • Technologische Robustheit: Studien der Stanford University (Buolamwini & Gebru, 2018) weisen nach, dass KI-Systeme, die in diversen Teams entwickelt wurden, geringere Fehlerraten und weniger Verzerrungseffekte aufweisen.
  • Soziale Akzeptanz: User akzeptieren technologische Systeme eher, wenn sie als fair, inklusiv und nachvollziehbar wahrgenommen werden – was bei geschlechtersensibel entwickelten Produkten häufiger der Fall ist (West et al., 2019).
  • Unterschätze Kompetenzen: Die Entwicklung und Anwendung von KI-Systemen erfordert zunehmend interdisziplinäre Perspektiven. Mit dem Aufkommen generativer KI und dialogischer Mensch-KI-Schnitstellen steigt der Bedarf an natürlichsprachlichen, kommunikativen und kontextsensiblen Kompetenzen. Diese Bereiche werden bislang zu selten als innovationsrelevant anerkannt – obwohl genau hier vielfältige Potenziale zur Breitenanwendung und sozialen Einbetung von KI liegen (Cristescu et al., 2024).
  • Integration von Wissen zur Bias-Vermeidung: Der Einsatz neurosymbolischer KI ermöglicht es, bestehende wissenschaftliche Erkenntnisse etwa über existierende Diskriminierung in KI-Systeme zu integrieren (Colelough & Regli, 2025). Dies ist ein vielversprechender Ansatz, um Verzerrungen nicht nur vorherzusagen, sondern akiv zu vermeiden (Marinucci et al, 2023). Die Kombination von existierenden Domänenkenntnissen (z. B. über Genderbias) mit der Leistungsfähigkeit generativer KI kann helfen, stereotype Reproduktionen zu durchbrechen und Transparenz und Erklärbarkeit zu erhöhen. 

5. Handlungsempfehlungen 

  1. Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsprinzip der Hightech-Agenda Deutschlando Gleichstellungsziele explizit in allen Programmlinien benennen und nachhalten. Entwicklung fairer, erklärbarer und geschlechtergerechter KI-Systeme fördern (z.B. durch neurosymbolische KI, User Empowerment) 
  2. Förderlinien für gezielte Qualifizierung für den Quereinstieg in den Hightech-Sektoro Entwicklung von interdisziplinär ausgerichteten Förderprogrammen und Karrierewegen für Frauen in KI, Data Science, Robotik und digitaler Ethiko Unterstützung durch gezielte Fortbildung für Führungskräfte, Mentorings und Trainings 
  3. Anreizsysteme für heterogene Projektteams in der Forschungsförderungo Bonuspunkte bei Förderentscheidungen für diverse Projektkonsortieno Einbeziehung klischeefreier Kriterien in Begutachtungsverfahren 
  4. Systematische Verzahnung mit der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitiko Qualifizierungsoffensiven für Frauen in MINT-Ausbildung, Weiterbildung und beruflichem Aufstiego Förderung weiblicher Führungskräfte in Technologiebereichen (z. B. durch Mentoring und Karriereprogramme) 

6. Schlussfolgerung 

Frauen sind eine zentrale Innovationsressource. Ohne ihre aktive Teilhabe bleibt die Hightech-Agenda Deutschland unvollständig. Gleichstellung ist kein Selbstzweck, sondern ein Hebel für Exzellenz, gesellschaftliche Tragfähigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland kann es sich nicht leisten, dieses Potenzial weiter ungenutzt zu lassen.

Empfohlene Maßnahme: Initiierung einer ressortübergreifenden „Agenda Gleichstellung und Hightech“ mit verbindlichen Zielen, Indikatoren und ressortspezifischen Maßnahmen bis 2030.
 

Literaturverzeichnis

Bitkom: Frauen in der IT-Branche 2024, Berlin, 23. Mai 2024. https://www.bitkom.org.pdf

Buolamwini, J., & Gebru, T. (2018). Gender Shades: Intersectional Accuracy Disparities in Commercial Gender Classification. In: Proceedings of the 1st Conference on Fairness, Accountability and Transparency, PMLR 81, 77–91. https://proceedings.mlr.press/v81/buolamwini18a.html

BuWiK (2025). Bundesbericht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase. https://buwik.de/wp-content/uploads/buwik-2025.pdf

Colelough, Brandon C. & Regli, William. (2025). Neuro-Symbolic AI in 2024: A Systematic Review. arXiv preprint arXiv:2501.05435. doi:10.48550/arXiv.2501.05435

Cristescu, Anamaria, Omri, Safa, Ködel, Laura, Schletz, Alexander & Marsden, Nicola. (2024). Frauen im Bereich Künstliche Intelligenz - Rollen, Potenzialentfaltung und Unternehmensstrategien. Hrsg. Katharina Hölzle, Oliver Riedel, Wilhelm Bauer,

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